01.12.2021 | 媒体

«Neugierde ist eine produktive Energie im eigenen Unternehmen und generell in der Industrie»

Eva Jaisli, CEO von PB Swiss Tools, ist und bleibt neugierig – damit sich ihr Unternehmen weiterentwickelt, aber auch zum Wohl des gesamten Industriesektors. Besonders wichtig ist für sie ein starkes Netzwerk, das Innovationen fördert.

Fokus Bern: Welche Herausforderungen sehen Sie in unmittelbarer Zukunft auf Ihr Unternehmen zukommen?
Eva Jaisli Das Verhältnis Schweiz-EU steht ganz oben auf der Agenda. Die Schlüsselpersonen in der Regierung müssen schnellstmöglich wieder eine Plattform schaffen, die den Dialog mit der EU auf Augenhöhe ermöglicht. Wenn etwa das Abkommen über den Abbau technischer Handelshemmnisse nicht mehr aktualisiert werden kann, wird dies für uns als relevanter EU-Marktteilnehmer im Bereich medizinischer Instrumente zu markanten Wettbewerbsnachteilen führen. Das darf nicht passieren. Es ist politisch wie betriebswirtschaftlich unverständlich, dass wir uns in Rahmenbedingungen begeben, die unsere Wirtschaftskraft gegenüber denjenigen limitieren, die im EU-Binnenraum andere Konditionen haben. Das wird sich auch negativ auf unsere Innovationsfähigkeit und Risikobereitschaft auswirken. Abgesehen davon kratzt es an unserem Image, zu einem Drittstatt zu mutieren. Das passt nicht zur Ausstrahlungskraft, die wir uns in den letzten Jahrzehnten aufgebaut haben.

Wie reagieren Sie auf diese Herausforderungen?
Ein wegweisender Entscheid war, dass wir aus Sorge um das drohende Scheitern des Rahmenabkommens mit der EU bereits Ende 2020 unsere bislang ausgezeichnete Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Vereinigung für Qualitäts- und Management-Systeme (SQS) aufgegeben und einen Kontakt bei TÜV Süd mit Sitz in München aufgebaut haben. Das ermöglicht uns eine EU-kompatible Zertifizierung unserer Produkte, um weiterhin Zugang zum EU-Binnenmarkt oder auch zum britischen Markt zu erhalten. Ich spüre aber eine grosse Unsicherheit entlang der ganzen Wertschöpfungskette, wie mit dem nun doch kurzfristig erfolgten Entscheid des Bundesrates umzugehen ist – das wirkt sich hemmend auf die Absätze aus und erfordert von uns viel Aufklärungsarbeit.

Auch bei Ihnen?
Weniger – einerseits, weil wir früh reagiert haben, anderseits, weil wir einen Aufschwung am Markt feststellen. Unsere Produkte sind sowohl auf dem Heimmarkt als auch im Export überdurchschnittlich gefragt, nachdem auch wir 2020 erhebliche Einbussen verkraften mussten. Doch aktuell bewegen wir uns am Limit unserer Ressourcen, um die gesteigerte Nachfrage abdecken zu können.

Womit erklären Sie sich, dass der Markt in diesem Ausmass floriert?
Wir bewegen uns grundsätzlich in zwei sehr unterschiedlichen Märkten. Schaue ich Handwerk und Bau im Schweizer Markt an, hat sich die Branche auch in der Corona-Pandemie sehr gut gehalten – mit Ausnahme des stationären Fachhandels, der auf Grund der Ladenschliessungen im Frühjahr 2020 zeitweise weggebrochen ist. Trotz Online-Kanälen hat dies den Absatz deutlich gehemmt. Nachdem die Schliessungen aufgehoben wurden, hat sich dieser Markt rasch erholt. Das liegt nicht zuletzt daran, dass viele Menschen die Heimarbeit entdeckt oder ausgeweitet haben. In der Medtech-Branche hingegen haben wir sehr stark gespürt, dass operative elektive Eingriffe in den Spitälern nur noch selektiv stattfinden konnten und hinausgeschoben wurden. Hier waren die Umsätze rücklaufend und haben sich jüngster Zeit auf das Niveau vor Corona zurückbewegt. Aber die leicht ruhigere Phase während Corona hatte auch Vorteile.

Inwiefern?
Wir haben den teilweisen Rückgang in der Produktion aufgefangen, indem wir neue Produkte zur Marktreife brachten, Projekte zur weiteren Digitalisierung und Automatisierung der Prozesse umsetzten. Weil wir erfolgreiche Jahre hinter uns und als Familienunternehmen kurze Entscheidungswege haben, konnten wir rasch die dafür nötigen Investitionsentscheide fällen. Diese Zukunftsorientierung habe ich in der MEM-Branche bei zahlreichen KMU gesehen. Sie wissen, dass es sich lohnt, Mut und Risikobereitschaft an den Tag zu legen, um bereit zu sein, wenn sich in naher Zukunft wieder neue Chancen ergeben.

Sie haben das Stichwort «Digitalisierung» genannt – was kommt hier auf Ihr Unternehmen zu?
Aus unserer Sicht gibt es drei wesentliche Dimensionen. Erstens die Prozessoptimierung in der Fertigung mit Blick auf Automatisierung. Hier wollen wir die Roboterperipherie weiter ausbauen; wir waren eines der ersten Industrieunternehmen in unserer Branche, das Industrierobotik eingesetzt hat. Dies hilft uns die Produktivität und die Rentabilität zu steigern. Zweitens ist Digitalisierung bei unseren Produkten ein Thema – zum Beispiel im Angebot von Drehmomentwerkzeugen. Und drittens treiben wir Projekte voran, um den Zugang zu den Märkten und zu den Kundinnen und Kunden einfacher und effizienter zu machen – damit meine ich etwa E-Commerce, Datenanalyse und Datenmanagement.

Wo sehen Sie die zentrale Herausforderung bei der Digitalisierung?
Wir arbeiten unter Zeitdruck, haben aber limitierte Ressourcen. Gerade jetzt, wo die Auftragsbücher voll sind, setzen wir unsere Kraft auf die Lieferbereitschaft. Da fällt es manchmal schwer, gleichzeitig auch Projekte zu managen, die ebenfalls Aufmerksamkeit und Zeit benötigen. Die Transformation ist im Gang, und wir wollen und müssen mit ihr Schritt halten.

Wo sehen Sie die Voraussetzung, um Innovationskraft zu entwickeln?
Ein breites und tiefes Netzwerk im In- und Ausland sehe ich als Basis dafür. Insbesondere unsere Projektleitenden und Führungsverantwortlichen pflegen langjährige Kontakte mit einzelnen Expertinnen und Experten, aber auch mit Forschungsinstituten, Hochschulen oder Startups. Gemeinsam mit ihnen bauen wir Wissen auf, stärken unsere Kernkompetenzen, und zwar in allen Bereichen: neue Materialien, neue Technologien, neue Prozesse, neue Dienstleistungen – wir brauchen von allem, um markt- und zukunftsfähige Lösungen zu entwickeln. Und über allem steht unsere Neugierde für Neues – auch meine persönliche.

Wenn wir den Fokus auf Institutionen des Kantons Bern richten, welchen Nutzen ziehen Sie aus diesem Netzwerk?
Dazu fällt mir als erstes ein konkretes Beispiel ein: In der Corona-Pandemie hat die Standortförderung des Kantons Bern genial reagiert, indem sie finanzielle Unterstützung für innovative neue Projekte in Aussicht gestellt hat. Wir haben uns umgehend darum bemüht und wurden ohne grossen bürokratischen Aufwand mit 100‘000 Franken unterstützt. Diese unternehmerische Stossrichtung des Kantons, dass auch er vorwärts schaut und in der Krise die Innovation belohnt, war überraschend, aber begeisternd. In dieser schlanken Art und Weise wünsche ich mir auch sonst die Kooperationen auf Stufe Gemeinde, Kanton und Bund.

Wie gut ist Ihr Draht zu den Hochschulen?
Auch dieser Kontakt ist wertvoll und unkompliziert. Ich war selbst mehrere Jahre Dozentin und Mitglied im Schulrat der Berner Fachhochschulen, daher ist das Netzwerk in diese Richtung eng geknüpft. Auch mit einzelnen Fakultäten der Universität pflegen wir einen regelmässigen Austausch und gehen auf sie zu, wenn wir Potenzial für eine Zusammenarbeit sehen. Wir stossen auf offene Türen. Umgekehrt wünschte ich mir mehr Offenheit und Neugierde uns gegenüber – ich begegne oft junge Menschen, die noch nie einen Fuss in einen Industriebetrieb gesetzt haben. Das erachte ich als Manko, denn dies zeigt, dass wohl auch weite Kreise der Bevölkerung zu wenig wissen, was die Berner Industrieunternehmen leisten, was ihnen unter den Nägeln brennt oder was sie Gutes für die Gesellschaft tun. Der Ball liegt aber auch bei uns. Wir Unternehmerinnen und Unternehmer müssen uns besser erklären und somit auch stärker exponieren.

Ihr Unternehmen entwickelt und produziert im Emmental – wie überzeugen Sie talentierte Fachkräfte, in Wasen oder Sumiswald und damit abseits der urbanen Zentren zu arbeiten?
Dieses Thema beschäftigt uns seit Jahrzehnten. Es ist der Grund, weshalb wir so grossen Wert auf die berufliche Ausbildung sowie attraktive Arbeits- und Lernbedingungen legen. Viele der Ausgebildeten bleiben nach der Lehre bei uns oder kehren später ins Unternehmen zurück. Aus diesem Pool haben wir immer wieder alle Stellen für Fachkräfte besetzen können. Die Unternehmenskultur, vielfältige Berufsbilder oder unser gutes Image als moderne Arbeitgeberin tragen auch dazu bei, dass wir die offenen Stellen besetzen können. Auch Initiativen wie der jährliche Tüftelworkshop sind hilfreich – dabei laden wir Mädchen und Buben im Alter ab 10 Jahren zu uns ein, damit sie mit unseren Werkzeugen beispielsweise einen Töggelikasten oder eine Kugelbahn bauen können. Dieser erste Kontakt mit PB Swiss Tools wirkt nachhaltig – viele kommen später zu uns schnuppern, und manchmal ergibt sich danach ein Lehrvertrag.

Sie sind bei Swissmem als Vizepräsidentin engagiert – was ist Ihr Antrieb?
Neugierig zu sein und vorwärtszuschauen ist nicht nur im eigenen Unternehmen wichtig, sondern das gilt für die gesamte Branche und den ganzen Industriesektor. Ich möchte mithelfen, dafür zu sorgen, dass wir Lösungen finden, welche zum Beispiel die Digitalisierung als Prozess greifbar machen. Auch hier sind wir in einem Netzwerk von Wissensträgerinnen und -trägern unterwegs, das mithilft, ein Prozedere vorzudenken, dass für die Industrie praktikabel ist. Und ganz ehrlich: Wenn es möglichst vielen Unternehmen dadurch besser geht, profitieren alle, weil untereinander ja auch Kunden- und Lieferantenbeziehungen bestehen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir Hand in Hand arbeiten.

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Originalartikel

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